Rhythmischer Störfall
Die Inszenierungen der Regisseurin Silke Johanna Fischer sind kompromisslose Exerzitien der inneren Zerrissenheit
von Gunnar Decker, Theater der Zeit, Ausgabe 01/2016
Die Beats der Einstürzenden Neubauten, sagt Silke Johanna Fischer, gehören unbedingt zu Heiner Müller, zu einem so absurden Collagestück wie „Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei“ ohnehin. Die Regisseurin erzählt die Geschichte großer Männer als Absturz. Denn sie wollen immer nur darüber hinwegtäuschen, dass sie den elenden Wurm, den sie in sich tragen und der sich krümmt und windet in ihrer Seele, mit viel Stechschritt und Pflicht statt Neigung für immer still machen. Für immer? Müller nennt den „Gundling“ ein „Gräuelmärchen“ - es ist ein Totentanz der ungelebten Wünsche, des ausgebliebenen Vatermordes, von unterdrückten Trieben, die nun aus dem Grab heraus nach uns greifen.
Als ich ihr sage, dass ich ihre Tim-Burton-Fantasien nicht haben möchte, aber es ihr ja offenbar gut damit zu gehen scheint, lacht sie. Silke Johanna Fischer überfordert andere gerne mit ihren kraftvollen, fast schon hermetischen Bilderwelten. Über die Jahre war sie Regieassistentin, erst in Zittau, dann in Chemnitz. Seit dieser Spielzeit arbeitet sie als freie Regisseurin. Die eigenen Inszenierungen, die sie bisher in Chemnitz - ermutigt von Schauspieldirektor Carsten Knödler - vorlegte, sind auf ihre Weise immer kompromisslose Exerzitien jener inneren Zerrissenheit, die jeder, der handelt, aushalten muss. Mehr noch: Man muss ihnen eine Form geben, und sei es die einer Ästhetik des Schreckens.
In Chemnitz erfand sie das „Nachtschicht“-Format - das waren verformte Lesungen, vom Rhythmus der Sprache bestimmte Wortsession. Hier hatte sie bereits die „Hamletmaschine“ mit Video und Musik (sie ist auch Schlagzeugerin) herausgebracht. Wusste sie also, worauf sie sich mit dem „Gundling“ einließ? Der Wahnsinn des Stückt, der sich in Terror Bahn bricht, hat sie gleich fasziniert. Etwa wie der Soldatenkönig Wilhelm I. aus seinem musisch-weichem Sohn einen richtigen Mann machen will - und der das, das ist das eigentlich Monströse, als Friedrich II. auch tatsächlich wird. Musisch und mörderisch zugleich! Wie in ihrer Inszenierung puppenspielartige Formalisierungen, kalt-distanzierte Macht-Mord-Szenarien wieder von intimster Offenlegung verdrängter Triebe und Sehnsüchte kontrastiert werden, das imponiert. Eben weil sie die Geschichte-frisst-Mensch-Maschine so (alb-)traumsicher bedient: als rhythmisch komponierten Störfall.
Täuscht es, wenn ihre bisherigen Arbeiten sämtlich so wirken, als stemme sich da etwas in ihr gegen eine drohende klaustrophobische Gefangensetzung? Mit „Die Erben des Galilei“ von Martin Bauch inszenierte sie 2014 das Gewinnerstück des Chemnitzer Stückwettbewerbs: ein Keller-und-Folter-Szenario als Kriegstrauma-Folge. Bei „Gegen die Liebe“ von Esteve Soler ließ sie die moderne Liebesunfähigkeit immer hektischer im Hamsterrad der Entfremdung laufen; bei „In Transit“ von Nis-Momme Stockmann wurde aus der ewig gleichen Generationenunverträglichkeit schließlich eine Kakophonie verlogener Euphemismen.
Die Welt, die sich so weit dünkt, setzt doch immer neu mit Enge gefangen? Genau, sagt Silke Johanna Fischer, und dagegen müsse man anspielen. Wenn sie inszeniere, dann sei das immer eine Form der Selbstbefreiung. Anfangs hatte sie nicht mit dem Theater gerechnet. Als sie nach der Schule ihre Ausbildung begann, fand sie sich in einem Betrieb wieder, der Software für Steuerbüros herstellte. Es war die Datenverarbeitungshölle, sagt sie, schlimmer als Knast. Nun wusste sie, was sie wollte: sich ihre eigene Welt bauen. Das Theater als Ort-Zeit-Achse für Geschichtstrips à la Heiner Müller, der kalte Rausch bodenloser Vernunft! //